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Ist Schaumschlägerei jetzt salonfähig?

Warum sollte man so tun, als wüsste man alles? Ist das wirklich erstrebenswert? Gedanken zum Thema Authentizität - angeregt durch einen Artikel in der Zeitschrift SALON


Champagner mit Gläsern

Gleich vorweg: Ich bin ein großer Fan der Zeitschrift "SALON". Nicht nur die optische Gestaltung, auch die redaktionellen Inhalte und nicht zuletzt die Rezepte sind von besonderer Qualität. Um so mehr hat mich in der aktuellen Winter-Ausgabe Nr. 37/2023 ein Artikel irritiert, der 18 Tipps aufführt, "wie man sich mit Floskeln, die ein fachkundiges Urteil vermitteln sollen, zu Themen äußert, von denen man keine Ahnung hat". Zitat Überschrift:

Hier kommen die besten Floskeln für die Bereiche Literatur, Kunst und Wein, mit denen Sie in jeder Situation als Kenner dastehen. Ein großer Strauß von falschen Federn, mit denen Sie sich schmücken können. Zum Angeben und Auswendiglernen.

Ernsthaft? Wie es aussieht, ja. Das hat mich nachdenklich gestimmt. Wozu soll das gut sein? Warum sollte ich so tun, als wüsste ich alles? Ist das wirklich erstrebenswert? Meine persönliche Antwort lautet eindeutig: NEIN. Wenn ich etwas nicht weiß, bzw. ich von einem bestimmten Thema keine Ahnung habe, halte ich, besonders in Gesellschaft, vielleicht doch besser den Mund und höre stattdessen aufmerksam zu. Ich würde eher Fragen stellen, dann erfahre ich wenigstens noch etwas.


Der erste Tipp in dem Artikel bezieht sich auf eine "Blumige, ausschweifende Beschreibung, mit der sich jedes Buch loben lässt, ohne es je gelesen zu haben": Zitat


Zart und stark, existenziell und augenzwinkernd, realitätsnah und voller Fantasie: eine eindrucksvolle Lektüre,

Hierzu kann ich nur sagen: Wenn ich ein Buch nicht gelesen habe, habe ich es nicht gelesen. Punkt. Warum sollte ich in einem Gespräch also das Gegenteil vermitteln? Das erschließt sich mir nicht. Man könnte doch auch sagen: Ich habe dieses Buch leider nicht gelesen, bin aber sehr gespannt, was Sie dazu sagen. Oder: Worum geht es da?


Ein weiteres Beispiel im Artikel: "Pretendersprech zu Champagner - ein vordergründiges Urteil, das im Abgang eine deutliche Kritik enthält: Zitat

Die Perlage ist hervorragend eingebunden, ganz fein und dezent, jedoch sind die Autolyse-Noten dann für meinen Geschmack etwas rustikal und erinnern an verbranntes Schwarzbrot und etwas gärigen Jogurt.

Auch bei dieser Aussage stellen sich mir augenblicklich alle Nackenhaare auf. Gerade im Falle des Champagners sollte man sich meines Erachtens einfach auf seinen ganz persönlichen Geschmack verlassen, der sagt einem ganz schnell, ob das Getränk zusagt und woran es erinnert. Unsere Sinne und Geschmacksnerven sind ausgeprägt genug, um entsprechende Assoziationen herzustellen.


Wie auch immer. Es gäbe hier noch mehr aufzuführen, denn dieser eigenartigen Ratschlagssammlung sind ganze drei kleingedruckte Seiten gewidmet. Ich frage mich, was bedeutet das, solche Ausführungen in einem eigentlich enrstzunehmenden Magazin wiederzufinden? Ist unsere Gesellschaft wirklich so oberflächlich geprägt, dass wir bluffen, schwindeln, Dinge vorgeben zu wissen, uns verstellen und uns hinter Halbwissen verstecken müssen... um, was genau damit zu bewirken? Vermeintlich dazuzugehören? Gemocht und bewundert zu werden? Als intelligent und unterhaltsam zu gelten?

Wem dient es, wenn wir unser wahres Selbst verbergen? Ein intelligenter Mensch wird immer erkennen, wenn wir "solchen Mist" erzählen und das Gegenteil von dem zuvor Genannten wäre die Folge: Es ist einfach nur peinlich und höchst unangenhem jemandem gegenüber zu stehen, der aufschneidet und dummes Zeug redet. Man wird es demjenigen vielleicht nicht sagen, aber es führt auch nicht dazu, dass man wahnsinnig "beliebt" ist, weil man so "geistreich" daher redet.

Viel angenehmer und weitaus interessanter wäre es doch, wenn wir offen und ehrlich zu uns stehen. Und Themen in ein Gespräch einbringen, zu denen wir wirklich etwas sagen können, anstatt mit hohlen Platitüden um uns zu werfen. Macht das eine Unterhaltung nicht viel spannender?



Menschen die miteinander sprechen

Für wen sind also diese vermeintlich orignellen Tipps im SALON Heft gedacht, die vermeiden sollen, das wir uns authentisch verhalten? Das Einzige was mir dazu einfällt ist: Wenn man tief im Inneren so unsicher ist, dass einem nichts anderes übrig bleibt, als "Fake" zu sein - also zu schwindeln, sich anders darzustellen und all das nur, um unter allen Unständen die eigene Unsicherheit zu kaschieren. Ja, möglicherweise kommt das häufiger vor, als man denkt, in der Arbeitswelt, bei Gesellschaften usw. Authentizität ist da vielleicht nicht gefragt? Eine solche Welt, ein solches Umfeld möchte ich mir gar nicht vorstellen. Was für eine Zeitverschwendung!


Authentisch sein hingegen bedeutet, sich wahrhaftig und echt zu zeigen, ohne Angst, seine Stärken und Schwächen zu kennen und zu wissen, wer man ist und dafür die Verantwortung zu übernehmen. Wir müssen nicht perfekt sein. Ganz und gar nicht. Wir sind menschlich, einzigartige Wesen, jeder und jede Einzelne für sich. Mit einer Vielfalt gesegnet, die auswendig gelernte Floskeln und sinnentleerte Worthülsen doch wirklich vollkommen überflüssig machen.


Meine abschließende Bitte an die SALON-Redaktion: Überlasst solche Artikel doch lieber irgendwelchen Satirezeitschriften. Danke!


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Fotos: Christian Gassert und Antenna | unsplash



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